«Die Zufriedenheit unserer Mitarbeitenden ist der Schlüssel zum Erfolg»

1.07.2020

Oft besteht das Vorurteil, dass sich kleine und mittlere Unternehmen Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht leisten können. Das Tessin, als einer der Kantone mit dem höchsten KMU-Anteil, beweist das Gegenteil. Drei Tessiner Firmen zeigen Strategien und Massnahmen im Bereich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie – beispielsweise eigens vom Unternehmen organisierte Sommercamps.

Drei Unternehmen, drei Wirtschaftssektoren, drei verschiedene Realitäten. Einerseits die Sintetica AG, ein Unternehmen mit 170 Mitarbeitenden in Mendrisio, das im pharmazeutischen Sektor tätig ist und injizierbare Medikamente für die regionale Lokalanästhesie und Schmerztherapie für Patienten auf der ganzen Welt herstellt. Hinzu kommt die FEMTOprint, ein kleines Industrieunternehmen mit etwa 20 Mitarbeitenden, von denen die Hälfte Eltern sind, das sich auf die Entwicklung und Herstellung von hochpräzisen 3D-Glas-Mikrokomponenten spezialisiert hat. Und schliesslich gibt es die Aziende Industriali di Lugano (AIL) SA, hier Vertreter des Service Public, mit über 380 Mitarbeitenden, die für die Verteilung von Energie, Trinkwasser und Energiedienstleistungen im Raum Lugano und teilweise im Mendrisiotto zuständig sind. Was haben sie gemeinsam? Alle führen seit Jahren Massnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch, und zwar mit grossem Erfolg.

Smart Working, flexible Arbeitszeiten, Teilzeitarbeit, Schichtarbeit oder die Möglichkeit von unbezahltem Urlaub gehören zu den Massnahmen, die von allen drei Unternehmen sofort genannt werden. Trotz ihrer Unterschiede in Grösse und Tätigkeitsbereich sind diese Angebote längst zu einem festen Bestandteil der Arbeitskultur der drei Unternehmen geworden. Es mangelt jedoch nicht an weiteren innovativen Lösungen, die auf die Bedürfnisse und die Struktur der einzelnen Unternehmen zugeschnitten sind. Daniele Fontana, Sustainability & HR Corporate Director der Sintetica AG erklärt, wie das Unternehmen seit drei Jahren den Kindern von Mitarbeitenden die Möglichkeit anbietet, an Sommercamps teilzunehmen. Das Pharma-Unternehmen bietet finanzielle Unterstützung für die Teilnahme an diesen Camps und fördert damit aktiv die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Allen Mitarbeitenden, unabhängig von ihrer Rolle innerhalb des Unternehmens, wird ein finanzieller Beitrag angeboten, um die Kosten für die ausserfamiliären Betreuung für Vorschulkinder zu decken. Die AIL haben ihrerseits ihre Teilzeitarbeitsverträge mit einer jährlichen Stundenzahl organisiert, so dass diejenigen, die davon profitieren, ihre Arbeitstage entsprechend gestalten können. Schliesslich bietet die FEMTOprint Mitarbeitenden mit Kindern die Möglichkeit, während der Einführung in den Kindergarten zusätzliche Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, insbesondere durch die Nutzung der Möglichkeit des Home-Office und flexibler Arbeitszeiten.

Vereinbarkeitsmassnahmen müssen auf die Bedürfnisse der Mitarbeitende zugeschnitten sein
Im Fall der AIL und aus der Sicht des öffentlichen Auftrags, den das Unternehmen erfüllt, kommt der Impuls zur Einführung einer Work-Life-Balance aus der sozialen Verantwortung, die das Unternehmen trägt. So ist Michela Bosia Stella, CSR Manager von AIL, überzeugt: «Die angebliche Unmöglichkeit, Änderungen vorzunehmen, hängt oft nicht so sehr mit der Knappheit der finanziellen Ressourcen zusammen, sondern im Wesentlichen mit der Unfähigkeit, unsere gewohnten Arbeitsmuster zu ändern». Der Goodwill-Faktor ist ausschlaggebend: Viele der Massnahmen erfordern oft keinen hohen Ressourcenaufwand, denn wie die Erfahrung der FEMTOprint zeigt, ist die Anwendung bestimmter Massnahmen wie flexibles Arbeiten eigentlich nur eine Frage der Selbstorganisation. Die Protagonisten dieser Angebote dürfen schliesslich nicht vergessen gehen, d.h. die Eltern selbst. Es braucht zwar Leitlinien und aufschlussreiche Visionen, um diese Massnahmen einzuführen, wie z.B. es zum Beispiel die Führungsgremien der Sintetica AG zeigen gleichzeitig ist es notwendig, den eigenen Mitarbeitenden zuzuhören und ihre Bedürfnisse zu verstehen. So sind manchmal Ideen, die auf dem Papier vielversprechend erscheinen, in der Praxis nicht umsetzbar oder entsprechen nicht den tatsächlichen Bedürfnissen der Eltern.

Mentalitätswandel sorgt für bessere Leistungen des Unternehmens
Die Zufriedenheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist der Massstab, mit dem die Auswirkungen dieser Massnahmen am besten gemessen werden können. Für Nicoletta Casanova, CEO bei FEMTOprint ist darum in Bezug auf Nutzen von Vereinbarkeitsmassnahmen klar: «Wir richten alles auf das Wohl der Mitarbeitenden aus, schlussendlich ist das immer auch für das Wohl des Unternehmens». Ein hoher Grad an Zufriedenheit bedeutet mehr Motivation und Verfügbarkeit, weniger Stress, eine niedrige Fluktuationsrate sowie die Möglichkeit, unausgesprochene Talente innerhalb des Unternehmens zu entdecken. Die Steigerung des Wohlergehens der Mitarbeitenden wirkt sich somit direkt auf die Zahlen des Unternehmens aus: Die Sintetica AG weist zum Beispiel sehr gute Ergebnisse in Bezug auf das Wachstum auf, mit Fluktuationsraten des Personals von praktisch Null.

Die porträtierten KMUs sind auf dem richtigen Weg. Die soziodemographischen Veränderungen in der Gesellschaft und in der Wirtschaft werden zunehmend Massnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf erfordern. Besonders in kleinen und mittleren Unternehmen besteht allerdings noch viel unausgeschöpftes Potenzial. Zu oft werden Massnahmen zur Vereinbarkeit noch als zu kostspielig oder ineffizient angesehen. Doch hier ist der Haken: Unternehmen neigen oft dazu, solche Massnahmen zu beurteilen, ohne sie überhaupt ausprobiert zu haben. Es ist daher notwendig, nach und nach einen Veränderungsprozess in Gang zu setzen, der durch einfache, an die Bedürfnisse der Arbeitnehmenden angepasste Massnahmen zum Erfolg des Unternehmens beiträgt. Wie die Erfahrungen von AIL, FEMTOprint und Sintetica zeigen, gibt es südlich der Alpen viele gute Beispiele, von denen man sich inspirieren lassen kann.

Autorin: Camilla Lafranchi