«Es braucht mehr finanzielle Mittel in der frühen Kindheit, aber ohne Giesskannenprinzip»

29.11.2021

Ständerat Ruedi Noser (FDP/ZH) ist READY!-Träger seit Beginn der Kampagne. Im Interview erklärt der fünffache Vater welche Entwicklung das Thema Frühe Kindheit auf der politischen Agenda in den letzten Jahren genommen hat, was er sich von den aktuell diskutierten politischen Dossiers erhofft und warum das Subsidiaritätsprinzip in den Diskussionen insbesondere im Ständerat einen solch hohen Stellenwert einnimmt.

Ruedi Noser, Ständerat FDP/ZH und READY!-Träger
Ruedi Noser, Ständerat FDP/ZH und READY!-Träger

Herr Noser, sind Sie ein Familienmensch?
Ja, auf jeden Fall! Ich bin im Glarnerland in einfachen Verhältnissen als viertes von fünf Kindern aufgewachsen. In unserer siebenköpfigen Familie war immer viel Betrieb und immer etwas los, aber die Familie war und ist immer das Wichtigste bei uns und deshalb war für mich immer klar, dass ich auch Kinder wollte.

Welche der heute vorhandenen Strukturen hätten Sie sich bereits gewünscht, als Ihre Kinder noch klein waren?
In der Stadt Zürich haben wir mittlerweile ein flächendeckendes Kinderbetreuungsangebot. Das Angebot hat sich auch an die Nachfrage angeglichen, sodass auf entsprechende Plätze nicht mehr monatelang gewartet werden muss. Das hat sich im Vergleich zur Zeit, als meine Kinder noch klein waren, stark verbessert. Wir konnten damals im Zürcher Oberland, wo meine Kinder den Grossteil ihrer Kindheit und Schulzeit verbracht hatten, noch nicht auf ein so gut ausgebautes Betreuungsangebot zurückgreifen.

Was haben Sie bereits mit READY! erreicht und was möchten Sie noch erreichen?
Jungen Menschen sollte man Chancen eröffnen. Ich habe darum bei der Noser Gruppe ein eigenes Kompetenzzentrum, die Noser Young Professionals (NYP) installiert und unterstütze auch die Non-Profit-Organisation Young Enterprise Switzerland (YES), die die Schule und die Wirtschaft vernetzt. Mit READY! haben wir in den letzten Jahren vor allem erreicht, dass gute wissenschaftliche Grundlagen erarbeitet wurden und diese dann aber auch mit und in den richtigen Entscheidungsgremien diskutiert wurden. Auf nationaler Ebene ist das Agenda Setting hervorragend gelungen und das Bewusstsein für die Wichtigkeit des Themas ist fast überall angekommen. Nun gilt es vermehrt bei den Kantonen und Gemeinden diese Arbeit fortzusetzen. Hier sind die Unterschiede noch zu gross und gleichzeitig ist die Aufklärungsarbeit auf diesen föderalen Ebenen zentral, weil dort die Musik spielt. Beispielhaft war für mich die Abstimmung in meinem Kanton über die freiwillige Einführung der Grundstufe. Der Gegenvorschlag des Kantonsrates zur Volksinitiative bzw. zur Umsetzungsvorlage der «prima-Initiative» dünkte mich sehr gut aufgegleist mit robusten Mehrheiten. Dennoch schickte es das Zürcher Stimmvolk 2021 mit knapp 55% Nein-Stimmen bachab.

Was sind für Sie die eindrücklichsten Fakten im Thema Frühe Kindheit?
Vielleicht nicht die eindrücklichste, aber für mich als evidenzbasierter Politiker definitiv die wichtigste: Je früher Unterstützungs- und Fördermassnahmen einsetzen, desto höher ist deren Rentabilität für Einzelperson, Wirtschaft und Gesellschaft. Frühe Förderung resultiert im Durchschnitt in 0.45 zusätzlichen Bildungsjahren pro Kind. Dank früher Förderung wird eine potenzielle jährliche Lohnerhöhung von 3.8 Prozent erzielt.

Was gelingt in der Schweiz gut und was sollte verbessert werden?
Es gibt grosse regionale Unterschiede bei den FBBE-Angeboten, sodass nicht jedes Kind gleichermassen profitieren kann. Zudem sehe ich mit Blick auf die Chancengerechtigkeit und dem Gesamtnutzen für die Gesellschaft vor allem auch einen grossen Hebel bei gezielten Massnahmen bei schwächeren oder schlecht integrierten Kindern.

Haben Sie hier konkrete Lösungen?
Ich erhoffe ich mir von der Umsetzung der Motion Eymann «Frühe Sprachförderung vor dem Kindergarteneintritt als Voraussetzung für einen Sek-II-Abschluss und als Integrationsmassnahme» wichtige Impulse. Fachpersonen und auch Studien bestätigen, dass die Sprache beim Eintritt in die Schule ein entscheidendes Kriterium darstellt.

Gibt es weitere politische Projekte, von denen Sie sich Impulse für eine umfassende Politik der Frühen Kindheit erhoffen?
Die Koordination zwischen den föderalen Ebenen muss sicher noch optimiert werden. Hier kann die in der Herbstsession im Ständerat angenommene Motion «Schaffung einer nationalen Beobachtungsstelle für die frühe Kindheit» von READY!-Trägerschaftskollegin Elisabeth Baume Schneider hoffentlich Abhilfe schaffen. Gerade im Ständerat in das Subsidiaritätsprinzip wichtig, für viele Themen im Bereich der Frühen Kindheit sind Kantone und Gemeinden zuständig. Ich begrüsse darum auch, dass die SODK und EDK gemeinsame Absichtserklärungen formuliert haben und zurzeit Bedarfsabklärungen machen. Auf nationaler Ebene werden sich die Diskussionen voraussichtlich an der Parlamentarischen Initiative der WBK-N orientieren.

Sie sprechen die Initiative der Bildungskommission des Nationalrats «Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung» an. Sie selbst sitzen in der ständerätlichen Schwesterkommission WBK-S und haben der erwähnten Parlamentarischen Initiative in einer ersten Phase zugestimmt. Aktuell erarbeitet eine Subkommission der WBK-N eine Vorlage, was erwarten Sie?
Ich bin wie alle sehr gespannt, was die WBK-N ausarbeiten wird. Ich denke es wird vor allem eine Finanzierungsvorlage werden. Das ist auch gut so. Auch aus bürgerlicher Sicht ist definitiv festzuhalten: Es braucht mehr finanzielle Mittel in der frühen Kindheit, aber ohne Giesskannenprinzip. Ich hoffe darum, dass die Umsetzung der Parlamentarischen Initiative auf Anreize setzt und nicht auf starre Vorgaben. Die unterschiedlichen strukturellen Gegebenheiten der Kantone und Gemeinden müssen berücksichtigt bleiben. Ansonsten wird die Vorlage im Ständerat einen schweren Stand haben und wohl keine Mehrheiten finden.

Was ist abschliessend Ihr Wunsch rund um das Thema Frühe Kindheit?
Nicht zuletzt die Coronakrise hat gezeigt, wie wichtig Kinderbetreuungsstrukturen für das Funktionieren des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens ist. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gilt es weiter zu verbessern. Gleichzeitig sind Investitionen in qualitative Angebote in der Frühförderung sinnvolle Investitionen, wenn man an die bessere Integration, die Chancengleichheit und das Verhindern oder zumindest Reduzieren von Entwicklungsdefiziten denkt. Das zahlt sich langfristig aus, verhindern wir dadurch doch aufwendige und teure Fördermassnahmen in der Schule sowie spätere Sozial- oder Gesundheitskosten. Aber klar ist auch, Lösungen müssen immer liberal und unbürokratisch bleiben.

Interview: Claudio Looser