Mit Musik kann man Kinder in ihrer ganzheitlichen Entwicklung fördern

20.12.2018

Der Zürcher Mundart-Liedermacher und Ready!-Botschafter Andrew Bond sagt, weshalb Musik für die kindliche Entwicklung wichtig ist, was er von der Politik im Bereich der frühen Förderung erwartet und wie er es schafft, 100 Kinder bei Laune zu halten.

Mögen Sie Ihren Ohrwurm «Zimetschtern han i gern» nach so vielen Jahren noch singen?
Andrew Bond: Aber sicher. Ich singe dieses Lied ja nicht das ganze Jahr hindurch, sondern nur saisonal. «Zimetschtern han i gern» weckt schöne Erinnerungen in mir. Mit diesem Lied startete ich vor 20 Jahren meine Karriere. Ich habe zu Hause mit meinen Kindern Weihnachtsguetzli gebacken. Als jemand, der nicht in der Schweiz aufgewachsen ist, fragte ich mich, welches Lied hierzulande wohl bei einer so sinnlichen Beschäftigung gesungen würde. Weil ich nicht fündig wurde, habe ich den Text des Weihnachtslieds Jingle Bells kurzerhand in «Zimetschtern han i gern» abgewandelt.

Was ist für Sie ein gutes Kinderlied?
Es gibt zwei Kategorien: Einerseits das Unterhaltungslied, von dem sich ein Kind im Konzertsaal oder auf seinem CD-Player berieseln lässt. Andererseits das Lied, das Kindergartenkinder selber singen können. Ich priorisiere die zweite Kategorie; Konzerte also, in denen ich keine zentrale Rolle bekleide. Diese Lieder haben einen simplen – aber keineswegs banalen – Aufbau. Sie haben einen passenden Reim und einen klar umrissenen Inhalt, der sprachlich ausgefeilt ist.

Sind Sie ein Wortjongleur?
Das kann man sagen. Meine ersten Jahre verbrachte ich in der Demokratischen Republik Kongo. Ich sprach Englisch, Französisch und Kikongo. Weil ich in allen drei Sprachen einen eingeschränkten Wortschatz hatte, musste ich ständig mit jenen Wörtern jonglieren, die ich kannte. Das kommt mir beim Formulieren der Liedertexte nun zugute.

Welche Kernbotschaften möchten Sie den Kindern vermitteln?
Das Leben ist schön! Seid wach! Geht hinaus in die Natur! Führt ein ganzheitliches Leben! Es sind nicht grosse Botschaften, eher kleine aber feine. So appelliere ich in meinen Texten dafür, sich für Gerechtigkeit einzusetzen und eine gesunde Streitkultur zu entwickeln. Ich thematisiere aber auch den Tod.

Nicht alle Kinder begreifen Ihre Musiktexte?
Das ist so. Neulich sah ich den Film «Thelma & Louise». Diesen Film hatte ich schon als 18-Jähriger gesehen. Aber erst jetzt sind mit gewisse Sachen klar geworden. Meinen Fans geht es vermutlich ebenso. Unter den Besuchern befinden sich auch Zwei- und Dreijährige. Wenn mir etwas wichtig erscheint, möchte ich, dass diese kleinen Kinder verstehen, worum es geht. Deshalb habe ich an meinem letzten Konzert gesagt, dass mit einem Schmetterling ein Sommervogel gemeint ist und nicht Roger Federer.

Wie schaffen Sie es, dass Ihnen 100 Kinder im Alter zwischen 2 und 12 Jahren an einem Konzert eine Stunde lang aufmerksam zuhören?
Das ist mein Berufsgeheimnis (lacht). Du musst etwas performen, das für ein Kind relevant ist, das es versteht, das es betroffen macht und bei dem es mitmachen kann. Schaffst du das, kannst du auch einen Saal mit 1000 Kindern unterhalten.

Was löst Musik bei Kindern aus?
Im Unterschied zu Erwachsenen hören Kinder nicht bewusst Musik. Für Kinder ist Musik eine Art von Spiel – wie Theater spielen oder herumtollen. Wenn ich einen Satz singe, reagiert ein Kind entsprechend. Singe ich den gleichen Satz Erwachsenen vor, hören diese erstmal zu, um dann zu entscheiden, ob ihnen mein Lied gefällt oder nicht.

Ist Musizieren wichtig für die kindliche Entwicklung?
Davon bin ich überzeugt. Musik ist der Soundtrack des Lebens. Musik kann trösten, Power geben und Gruppen zusammenführen – denken Sie nur an das gemeinsame Singen von Nationalhymnen vor einem Spiel oder von «Happy Birthday» an Geburtstagsfesten.

Für die Eltern ist es vermutlich günstiger, ihr Kind in einen Sportverein zu schicken als ihm musikalische Bildung ausserhalb des Schulunterrichts zu ermöglichen. Sehen Sie das auch so?
Ja. Die Zahnspange ist aber noch teurer als musikalische Bildung. Es ist immer eine Frage der Prioritäten.

Inwiefern hilft Musik, die Chancengerechtigkeit bei Schuleintritt zu erhöhen?
Als ehemaliger Oberstufenlehrer bildete ich Schülerinnen und Schüler aus, die im Unterricht aufgrund ihres Intellekts oder wegen ihres familiären Hintergrundes nicht brilliert haben. Einige dieser jungen Menschen blühten mit der Musik aber richtig auf, zum Teil mehr als ihre strebsamen Kameraden. Ich schlussfolgere: Musik tut bereits ab dem ersten Lebensjahr gut – in der Familie, im Hort, im Kindergarten und in der Schule.

Engagieren Sie sich deshalb als Botschafter bei Ready?
Ja. Als westliche Gesellschaft haben wir ein wenig vergessen, wie Musik und gemeinsames Singen in vielerlei Hinsicht bedeutend sein kann: bei der Pflege von alten Menschen, bei der Krankenbetreuung, bei der Unterstützung von Menschen mit einer Behinderung, bei der Arbeit mit jungen Kindern. Mit Musik kann man Kinder fördern – mehr in ihrer ganzheitlichen Entwicklung als im leistungsmässigen Bereich.

Was erwarten Sie von der Politik im Bereich der frühen Kindheit?
Ich erwarte von der Politik, dass sie die frühe Kindheit anders definiert. Sie muss sich bewusst werden, was die gesunde Entwicklung eines Menschen für die Gesellschaft aber auch für die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und die Konjunktur bedeuten kann. Das Betreuungsnetz, das Menschen in verschiedenen Lebenssituationen auffängt, wird zunehmend grossmaschiger, das zwischenmenschliche Klima in der Gesellschaft kälter. Kinder werden auf Leistungsgesellschaft getrimmt. Das macht mir grosse Sorgen. Hier muss die Politik eingreifen. Sie hat vieles in der Hand. Ich wähle keine Sparpolitiker, denn ich bin gerne bereit, Steuern zu bezahlen, wenn man dieses Geld auch für eine ganzheitliche Betreuung hilfebedürftiger Familien einsetzt.

Wenn Sie sich etwas wünschen könnten für Kinder in der Schweiz: Was wäre das?
Ich wünschte mir, dass die Gesellschaft die gleichen Werte hochhält wie meine Familie: Unsere Kinder stehen nicht im Zentrum, sie sind uns aber sehr wichtig. Für Kinder sollte man sich Zeit nehmen, ihnen muss man Platz geben und Ressourcen zur Verfügung stellen, damit sie ein sorgenfreies Leben führen können.

Leuchtturm für die Kinder
Andrew Bond verbrachte seine Kindheit in der Demokratischen Republik Kongo und in England. Mit 12 Jahren kam er in die Schweiz. Nach seinem Theologiestudium arbeitete er während 17 Jahren als Musik- und Religionslehrer an der Oberstufe in Wädenswil ZH.

Bond hat über 800 Lieder komponiert. 1998 brachte er die erste von mittlerweile über 25 Musik-CDs auf den Markt: «Zimetschtern han i gern». Inzwischen verkaufte er über 700'000 Tonträger sowie diverse Kinderbücher. Der 53-jährige Bond gibt gegen 100 Konzerte pro Jahr – die meisten sind ausverkauft.
2012 erfüllte sich Bond mit der Übernahme des Märli-Musical-Theaters einen lang ersehnten Traum. Die vielseitigen Aufgaben als Autor, Komponist und Produzent der Musicals bilden eine grossartige Herausforderung.

Seit 2003 werden sämtliche CDs, Liederhefte, Bücher, Singspiele et cetera von Andrew Bond im Grossengaden Verlag herausgegeben. Bond führt eine KMU mit 8 Mitarbeitenden.
www.andrewbond.ch

Interview: Thomas Wälti